Klima-Gerechtigkeit
Heinz Wittenbrink - rw2020
2020-09-28
Ungerechte Verteilung
Es gibt verschiedene Begriffe von Gerechtigkeit und verschiedene Formen von Ungerechtigkeit. Unter Klima-Ungerechtigkeit kann man zunächst einmal verstehen, dass von der globalen Erhitzung nicht alle in derselben Weise betroffen sind. Unser CO2-Fußabdruck in einem hochindustrialisierten, reichen Land ist um ein Mehrfaches größer als der in einem armen Land. Wir pumpen pro Person ca. 10 Tonnen CO2 in die Atmosphäre, die Einwohnerinnen und Einwohner der ärmsten Länder Afrikas nur zwischen 1 und 2 Tonnen. Umgekehrt leiden aber gerade die Menschen in den ärmsten Ländern im globalen Süden am meisten unter der Klimakatastrophe. Sie sind schon jetzt bedroht. Sie haben in vielen Ländern nicht mehr genug Wasser zur Verfügung. Kriegerische Konflikte brechen aus, weil die Rhythmen der Jahreszeiten durcheinander kommen und nomadische Gruppen ihr Vieh nicht mehr auf den Gebieten sesshafter Bauern weiden lassen können, wenn diese gerade nicht bestellt werden. Tropische Stürme zerstören vor allem im globalen Süden große Gebiete. Heuschreckenschwärme, die durch die Veränderungen des Klimas zugenommen haben, vernichten einen großen Teil der landwirtschaftlichen Produktion.
Aspekte der Klima-Ungerechtigkeit
Why does climate justice matter? | Climate Just
Klima-Ungerechtigkeit bedeutet aber noch mehr als Verteilungsungerechtigkeit. gemeint ist damit auch, dass der unterschiedliche Zugang zu Ressourcen strukturelle Gründe hat, dass also die Lebensbedingungen der Reichen und in den reichen Ländern die Ursache für ökologische Katastrophen bei den Armen oder in den armen Ländern sind. Die Stücke des Kuchens der globalen Ressourcen sind nict nur unterschiedlich groß, sondern die Reichen backen ihre Stücke mit Zutaten, die sie den Armen wegnehmen. Das ist z.B. dann der Fall, wenn Regenwälder zerstört werden, um billige Agrarprodukte für den globalen Norden oder auch für die Reichen im globalen Süden herzustellen. Das lokale Klima und die Biodiversität werden geschädigt, weil andere als die Betroffenen davon profitieren.
CO2-Outsourcing
Mapped: The world’s largest CO2 importers and exporters | Carbon Brief
Ein besonderer Fall der strukturellen Klima-Ungerechtigkeit ist das Outsourcing ökologisch schädlicher Produktionen in ärmere Länder. Dafür ist China, das schon als Schornstein der Welt bezeichnet wurde, das sichtbarste Beispiel. Die CO2-Bilanz der reichen Länder profitiert davon, dass CO2-intensive Produktionen nach China und in den globalen Süden verschoben werden.
Planetare Grenzen
Net-zero by 2050: What does it mean? | Environment| All topics from climate change to conservation | DW | 31.05.2019
Sobald die Begrenztheit der globalen Ressourcen Folgen für die Menschen auf dem Planeten hat, wirken Verteilungs-Ungerechtigkeit und strukturelle Ungerechtigkeit zusammen. Das, was die einen mehr verbrauchen als die anderen, nehmen sie den anderen Weg. Jede Tonne CO2, die in einem reichen Land klimaschädlich verbraucht wird, fehlt in einem armen Land. Klima-Ungerechtigkeit verschärft sich damit zu einem globalen Kampf um begrenzte Ressourcen.
Kolonialismus
North–South divide - Wikipedia
Bisher bin ich nur auf ungerechte Verteilung, strukturelle Ungerechtigkeit und Verteilungskonflikte heute eingegangen. Klima-Ungerechtigkeit und ökologische Ungerechtigkeit in der Gegenwart sind dabei das Ergebnis der Kolonialgeschichte, in der der globale Norden seinen Reichtum auf Kosten des globalen Südens erworben hat. Diese Kolonialgeschichte war immer mit ökologischer Zerstörung, z.B. mit der Zerstörung von Subsistenzwirtschaft oder extraktivistischen Bergbauprojekten verbunden. Im globalen Norden stellen wir uns die Klimakatastrophe meist als zukünftiges apokalyptischen Ereignis vor. Im globalen Süden hat die Apokalypse bereits stattgefunden und findet weiter statt, von der Sklaverei bis zu der Zerstörung der letzten Rückzugsgebiete indigener Bevölkerungen.
Rassismus
Environmental Racism In The US: Insidious, Unchecked & Made Worse By Covid-19
Rassismus ist eine Festschreibung der Ungleichheit zwischen Gruppen von Menschen als eine angebliche Naturtatsache. Dabei werden soziale Unterschiede in fiktive biologische Unterschiede projiziert und gleichzeitig verschoben, so dass Unterschiede zwischen angeblichen Rassen als Ursache dieser sozialen Unterschiede erscheinen. Der Rassismus hat einen ökologischen Aspekt. Die minderwertigen Rassen oder die Entwicklungsländer sind nicht nur aus biologischen oder quasi-natürlichen Gründen benachteiligt, sie werden auch mit einer Natur identifiziert, die auf Ausbeutung angelegt ist, von der menschenfeindlichen Wildnis bis hin zu den letzten Paradiesen , deren Bewohner Tourismus aus den reichen Ländern brauchen, um endlich zivilisiert leben zu können.
Ökofaschismus
Far Right Ecologism and the Conceptual Deficiencies of Ecofascism – Undisciplined Environments
Der Ökofaschismus leugnet die Klima-Ungerechtigkeit nicht, sondern er rechtfertigt sie. Dabei beruft er sich besonders gern nicht nur auf die Armut der Menschen im globalen Süden, sondern auf das Bevölkerungswachstum dort. Das Bevölkerungswachstum wird als Ursache der Ressourcenknappheit verstanden, die tatsächlich durch den Überkonsum der Reichen zustandekommt. Es wird auch nicht als Teil einer globalen Wachstumsproblematik begriffen, die vom Wirtschaftswachstum in den reichen Ländern bzw. dem Wachstum im Interesse der global Reichen getrieben wird. Der Ökofaschismus legitimiert weitere ökologische Verschlechterung im globalen Süden als Ergebnis globaler Konkurrenz.
Wachstum als Mittel?
A response to Max Roser: how not to measure global poverty — Jason Hickel
Die liberale, progressive Lösung für die Probleme der ökologischen Ungerechtigkeit besteht im Wirtschaftswachstum, das letztlich zu einem sozialen Ausgleich, z.B. zum Ende extremer Armut führen soll. Wachstum wird als Lösung eines Gerechtigkeitsproblems verstanden, wobei es unterschiedliche, z.B. keynesianische und neoliberale Konzepte zur Steuerung des Wachstums gibt. In der Wirtschaftswissenschaft gibt es eine intensive Debatte darüber, ob Wachstum tatsächlich zu einer dauerhaften Beseitigung der weltweiten Armut geführt hat bzw. führen kann. Ziemlich sicher kann man sagen, dass das Wirtschaftswachstum der neoliberalen Ära seit etwa 1980 zwar zu einer Steigerung des Brutto-Sozialprodukts auch in den armen Ländern geführt hat, dass aber die globale Ungerechtigkeit dramatisch zugenommen hat und dass die Zahl der absolut Armen nicht kleiner geworden ist.
Incrementum ad Absurdum
How bad is global inequality, really? — Jason Hickel
Unabhängig davon, wie man Wirtschaftswachstum als Strategie zur Bekämpfung von Armut beurteilt, ist Wirtschaftswachstum nicht von einer Steigerung des Ressourcenverbrauchs und damit von einer Zunahme der Klima-Ungerechtigkeit abzukoppeln. Wenn die Armut durch kontinuierliches weiteres Wachstum beseitigt werden soll, dann wäre sie erst verschwunden, wenn in das durchschnittliche Einkommen in den Ländern des globalen Nordens bei über einer Million Dollar im Jahr läge. Das wäre, solange es keinerlei realistisches Konzept für eine Entkoppelung von Wachstum und Ressourcenverbrauch gibt, mit einem globalen ökologischen Kollaps verbunden.
4. Forderung? JUST TRANSITION
We demand a just transition that prioritizes the most vulnerable people and establishes indigenous sovereignty; establishes reparations and remediation led by and for Black people, Indigenous people, people of color and poor communities for years of environmental injustice, establishes legal rights for ecosystems to thrive and regenerate in perpetuity, and repairs the effects of ongoing ecocide to prevent extinction of humanity and all species, in order to maintain a livable, just planet for all.
Demands & Principles — Extinction Rebellion NYC
Es gibt Gruppen von Extinction Rebellion, die Klimagerechtigkeit als 4. Forderung formulieren. Klar ist, dass sich der Klimanotstand ohne Klimagerechtigkeit nicht beseitigen lässt. Offen ist, wie sinnvoll es ist, sie separat zu fordern. Umgekehrt kann man aber die Beseitigung der Klimaungerechtigkeit als Weg zur Lösung der globalen Klimakrise verstehen.
Text und Aktualisierungen dieser Präsentation